DJECA – Kinder von Sarajevo erscheint auf DVD

VÖ-Termin ist der 22. August!

Jury der Evangelischen Filmarbeit

DJECA – Kinder von Sarajevo  ist Film des Monats November

 

Startpresse (Auswahl)

“ (…) ist in diesem stillen, klugen Film die Hoffnung kein Kitsch und keine These, sie ist einfach da.“

Patrick Seyboth, epd Film

„Ihr Blick ist (…) ein liebevoll-trauriger, resigniert hat sie anders als viele ihrer Landsleute aber noch nicht.“

Nadine Lange, Zitty Berlin

„Zwischen der Schauspielerin und der Regisseurin spürt man den geheimen Bund, den sie geschlossen haben. Gemeinsam gelingt es ihnen, in der trostlosen Gegenwart einen ganz und gar unsentimentalen Lichtschimmer der Hoffnung aufscheinen zu lassen.“

Anke Sterneborg, Süddeutsche Zeitung

„Begics Film entwirft kein auswegloses Panoptikum kollektiver Verzweiflung, sondern den im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnenden Kampf einer einsamen Heldin, die vom Leben ein Stück Würde, Harmonie und Glück zurückfordert.“

Bernd Buder, Filmdienst & katholisch.de

“ Der Kinofilm erzählt auch die Geschichte einer jungen Muslima zwischen Moderne und Tradition.“

Michael Kniess, Konradsblatt

 

vor Start

Pressestimmen Cannes

„Standing Ovations für ‚Djeca‘ in Cannes“

Hamburger Abendblatt

“ (…) ist ein behutsam inszenierter filmischer Blick auf und in das Bosnien der Gegenwart.“

Robert Cherkowski, filmstarts.de

„Du punk au voile.“

Le Monde

 

 

Interview mit Aida Begić, Sarajevo, 22. August 2013

Dieses Interview wurde geführt von Bernd Buder – mit freundlicher Genehmigung des Filmdiensts:

Frage: Gibt es bei DJECA – KINDER VON SARAJEVO einen biographischen Hintergrund?

Aida Begić: Ich unternehme immer lange Recherchen, die ich oft auf Film dokumentiere. Ich muss genau sehen, was bezüglich meiner Themen, im richtigen Leben passiert. Mein erster Film SNOW war von realen Biografien inspiriert, einige der Frauen waren Mitglieder meiner Familie, andere Frauen aus Srebrenica. Für DJECA – KINDER VON SARAJEVO habe ich lange Zeit mit Kindern in einem Waisenhaus in Sarajevo verbracht. Ich habe dort einen Workshop mit 13- bis 15jährigen über Gewalterfahrungen gemacht. Ich wollte in Erfahrung bringen, welchen Erlebnisse diese Kinder im heutigen Sarajevo ausgesetzt sind. Somit basiert meine Geschichte auf der Realität.

Frage: Rahima, Ihr weiblicher Hauptcharakter, ist von einer Punk-Rockerin zu einer stark religiösen Frau geworden. War es früher die Lederjacke, ist es heute das Kopftuch, mit dem sie ihre Distanz zur Gesellschaft zeigt?

Aida Begić: Ich denke, Rahima drückt mit dem Kopftuch ihren Widerstand aus. Wenn ich an mich selber denke – ich glaube nicht, dass ich meine Punk-Rock-Haltung abgelegt habe, weil ich jetzt ein Kopftuch trage. Für Rahima ist das der Weg, mit dem sie diese ganzen Dinge in ihrer Umwelt auf Distanz hält, die Gewalt und die Sinnlosigkeit, mit der sie konfrontiert wird. So rettet sie sich vor dieser Welt. Sie gehörte zu einer Minderheit, als sie jünger war, und sie gehört heute zu einer Minderheit, mit ihrem Kopftuch. Sie muss sich beweisen, und dieser Kampf nimmt kein Ende.

Frage: Sie muss sich auch gegen den dumpfen Männerwitz ihrer Kollegen durchsetzen. Sind religiöse Frauen oft mit solchen Witzen konfrontiert?

Aida Begić: Manchmal ist man Diskriminierungen ausgesetzt. Das Ding ist, wenn man ein Kopftuch trägt, hat jeder, den du triffst, bereits eine Meinung über dich, bevor du mit ihm sprichst. Fast immer sind da Vorurteile im Spiel, manche Leute denken gleich, dass du blöd bist, oder unterdrückt, oder dass du dazu gezwungen wirst. Die anderen denken, dass du eine perfekte Heilige bist. Dabei bist du so wie jeder andere, du kannst gut sein oder böse. Aber indem du es trägst, bist du der Tatsache ausgesetzt, dass jeder eine vorgefasste Meinung über dich hat. Natürlich ist die Diskriminierung mehr als offensichtlich.

Gleichzeitig ist unsere Balkan-Gesellschaft sehr machistisch – wenn du jung bist und kein Kopftuch trägst, gucken sie dich wie ein Stück Fleisch an. Wenn du ein Kopftuch trägst, denken sie, was machst du hier, warum bleibst du nicht zu Hause oder in der Moschee, statt hier rumzusitzen und Kontakte zu machen. Ja, es werden sehr viele Witze auf Kosten von Frauen gemacht, die Kopftuch tragen, aber das gibt es, mehr oder weniger hinter vorgehaltener Hand, wohl überall.

Frage: Sie benutzen auch diese drastische Restaurant-Metapher. In der Küche arbeiten Außenseiter und Gelegenheitsarbeiter, wie Rahima, oder der schwule Koch. Im Gastraum speisen die Politiker mit der Mafia. An welchem Punkt befindet sich die bosnische Gesellschaft heute?

Aida Begić: Unglücklicherweise wird der Gegensatz zwischen extrem reichen, zwielichtigen Leuten, die oft zur Politik gehören, und armen Leuten immer größer. In normalen Gesellschaften sind nur wenige Leute, vielleicht 7%, in der Politik aktiv. Hier ist die Mehrheit in die Politik eingebunden, deswegen ist die große Frage, wer soll hier etwas verändern? Die meisten Leute, die in die politische Netzwerke eingebunden sind, machen das, weil sie daraus Nutzen ziehen- man kann nichts ändern, wenn 80% dieser Leute ihre eigenen Interessen mit Hilfe dieser Mafia-ähnlichen Konzepte durchsetzen. Auf der anderen Seite gibt es mehr und mehr extrem verarmte Menschen, die nicht mal mehr ihre Mieten zahlen können, und eine Arbeitslosigkeit von mehr als 40%. Und es gibt noch nicht mal jemanden, den man dafür verantwortlich machen kann, weil Chaos herrscht, Anarchie.

Frage: In einem Interview haben Sie mal gesagt, dass die Bosnier ihre Erinnerungen, ihre Mythen behalten haben, aber ihre Visionen verloren.

Aida Begić: Alles hat sich für uns nach der Jahrhundertwende geändert. Der 11. September hat ganze Lebenskonzepte beeinflusst. Für uns hat sich die Situation damals extrem verschlimmert. Vorher gab es da ein Europa, und ein Amerika, auch ein Afrika, in das wir theoretisch gehen konnten. Man konnte sich immer konkret vorstellen, irgendwo außerhalb dieses Landes hier zu leben, irgendwo anders hin zu gehen. Aber nachdem nun alles chaotischer geworden ist, mancherorts sogar schlimmer als in Bosnien, denkt man nicht mehr an Europa als einen Ort der Glückseligkeit und der wirtschaftlichen Blüte.

Frage: Wie haben Sie mit Ihren Schauspielern gearbeitet?

Aida Begić: Wir haben rund um Sarajevo etwa 1.000 Kinder gecastet. Wir haben den Workshop, über den ich vorhin gesprochen habe, mit 70 Kindern durchgeführt, und von denen habe ich dann einen Jungen genommen. Für Rahima habe ich ein regionales Casting organisiert. Zum Schluss habe ich Maja aus den 180 Mädchen ausgewählt. Ich hatte die Wohnung, in der wir gedreht haben, ein Jahr vor Drehbeginn. Dort haben wir zwei Wochen geprobt, mit der ganzen Truppe. Um wirklich wie Bruder und Schwester zu werden, mussten Rahima und der Junge dann noch eine ganze Weile miteinander rumhängen. Das war ein langer, ziemlich aufregender Prozess.

Frage: Wie waren die Reaktionen auf den Film in Bosnien?

Aida Begić: Bei SNOW waren die Leute in Sarajevo nicht besonders froh, ihre eigene Misere zu sehen. Sie mochten es, und die Filmleute mochten es, aber für das Publikum war es zu viel. Sie haben dieses Realität durchlebt, das noch mal auf der Leinwand zu sehen, ist sehr hart. (…) Es gibt kaum Kinos in Bosnien, viele sind zerstört oder Pleite gegangen, und die, die wiedereröffnet wurden, zeigen meistens Hollywood-Filme, 3D- und Popcornfilme. Für Arthouse-Filme ist es da schwierig.

Als ich dann DJEKA – KINDER VON SARAJEVO gezeigt habe, waren die Leute überrascht, dass der Alltag im gegenwärtigen Sarajevo so düster ist. Sie haben geglaubt, dass das Leben hier nach dem Krieg ganz wundervoll ist. Ich würde aber sagen, dass es heute wieder schlechter geworden ist. Im Allgemeinen bin ich optimistisch, sonst würde ich meine Kinder ja hier nicht aufziehen, wenn ich nicht daran glauben würde, dass es besser wird. Aber es wird nicht besser. Ich glaube, wir werden noch längere Zeit keine Komödie oder eine Geschichte mit Happy-End aus diesem Teil der Welt sehen.

Frage: Das Ende von DJEKA – KINDER VON SARAJEVO ist dabei gar nicht depressiv, aber auch nicht wirklich positiv. Eher bittersüß ….

Aida Begić: Genau. Es ist ein offenes Ende. Ich wurde immer gefragt, warum ich auf meine Fragen keine Antworten habe. Die einzige Antwort, die meine Protagonisten auf diese Fragen finden, ist die, dass sie erkennen, aufeinander angewiesen zu sein. Ich finde, das reicht für ein wenig Hoffnung.

Regiekommentar

Gerade wenn du denkst, dass Krieg das Schlimmste ist, was dir passieren kann, kommt der Frieden. Frieden in meinem Land – einem Land im Übergang – hat einen totalen Zusammenbruch des Systems, ein Aussetzen von Logik, Moral und oftmals auch der Vernunft zur Folge gehabt. Resignation ist das vorherrschende Gefühl im heutigen Bosnien Herzegowina.

Sarajevo blieb während der drei ein halb Jahre brutaler Besetzung weiterhin ein Symbol der Koexistenz, Würde und Menschlichkeit. Doch heute wird es oft als Pulverfass im Herzen Europas bezeichnet.

Nach dem Ende der physischen Belagerung, währte die geistige fort. Privatisierung, Manipulation durch die Medien, Visaknechtschaft und Nationalismus legen das Land in Ketten. Sarajevo wird zum fruchtbaren Boden für die Radikalisierung junger Leute. In solch einem Umfeld werden selbst die fürchterlichsten Erinnerungen wie etwa jene an den Krieg zu Märchen.

Rahima, die Heldin meines Filmes, hat die Belagerung Sarajevos überlebt. Ihre Eltern nicht. Der Krieg hat unauslöschliche Spuren bei ihr hinterlassen. Nach dem Krieg findet sie sich in einer materialistischen Welt wieder, die die alten Helden nicht anerkennt. Sie lebt in einer Welt, die vom Geld regiert wird. Ihr Dilemma, lässt an Hamlet denken: Soll sie die Dinge geschehen lassen, die Augen verschließen und Trost in ihren Träumen finden, oder soll sie die Kraft aufbringen, zu agieren. Aber der Wunsch, in solch einem faulen System zu handeln, kann in den Extremismus führen.

Für mich als Regisseurin besteht die größte Herausforderung an diesem Film darin, die Geschichte einer jungen Frau zu erzählen, die Träume durch Erinnerungen ersetzt, ihre rebellische Jugend mit einem Kopftuch bedeckt, die zur gleichen Zeit modern und traditionell ist, in den Osten und in den Westen gehört, zwischen Himmel und Erde gefangen ist. Das Beispiel einer jungen Europäischen Muslime, von der wir nicht wissen wie wir uns ihr gegenüber verhalten sollen.

Aida Begić